Das Vermächtnis

Handwerkliches Können, komödiantische Phantasie – das war von Anfang an mein einziges Ziel. Mit diesem Wissen hab ich die Schule begonnen. Ohne handwerkliches Können kann man Phantasie nicht in die Praxis wandeln. Das ist immer ein Thema der Gespräche mit meinen KollegInnen, die ich alle zu diesem Beruf des Lehrens geführt habe, und jede/r von ihnen ist im Laufe der Jahre davon erfüllt. Es sind SchauspielerInnen, RegisseurInnen und DramaturgInnen mit großen Theaterkenntnissen.

Ich habe das ganz starke Bedürfnis meine Erfahrungen, die ich in meiner fast lebenslangen praktischen Arbeit am Theater, im Fernsehen, im Radio und auf dem Podium sammeln konnte, weiterzugeben. Und es überfällt mich ein ungeheures Glücksgefühl wenn ich sehe, dass es gelingt. So wird in unserer Akademie an Dialogen gearbeitet, gesungen, improvisiert, getanzt, an der Sprache gefeilt, Clownerien erfunden und es wimmelt von Gefühlen in jede Richtung.

Die StudentInnen gehen in den Jahren, die sie bei uns verbringen, durch so viele verschiedene Phasen, dass sie, wenn sie für reif erklärt werden, imstande sind sich in jede Art von Theaterbetrieb mit einer ernsthaft erarbeiteten Basis einzufügen. Denn der/die SchauspielerIn muss heute umfassend ausgebildet und gebildet sein, sprachlich, körperlich, seelisch und stimmlich trainiert. Die Begabung und das künstlerische Talent ist die Grundlage einer schwierigen Zeit der Entwicklung, aber auch die Ausdauer muss trainiert werden, sie wird für diesen Beruf immer wichtiger.

In diesen vergangen Jahren ist eine Reihe von jungen SchauspielerInnen entstanden, die unsere Arbeit lohnen.

Ich versuche spielerisch in Gruppenarbeit die jungen Leute mit „Lust am Lachen" und Lust „am zum-Lachen-Bringen" an diesen schweren Beruf heranzuführen. Zu tasten. Mit ihnen die ersten Gehversuche zu unternehmen. Deshalb nenne ich meine Arbeit „Erfahrungen“. Dann kommen sie in die nächsten Semester. Beginnen sich großen Stücken zu nähern, schwere Texte zu beherrschen, ganze Stücke zu spielen. Erfahrungen weitergeben bedeutet bereit zu sein und sich in jedes seelische Abenteuer einzulassen. Sich total auf andere Menschen einzustellen. Einerseits „sich selbst zu vergessen", anderseits „durch mich dem anderen Gefühl zu vermitteln".

Es gibt in diesem künstlerischen Bereich keine Methode. Die Methode ist man selbst.

Ich wünsche meinen jungen Studierenden, dass das Theater lebendig bleiben wird, dass sie die Möglichkeit haben werden, den Menschen in all seinen Lebensphasen, Schicksalen, Glücksperioden, Liebesbeziehungen, Erniedrigungen, Abenteuer, Fehlschlägen, Kränkungen, Verluste, Gnaden, Abstürzen, Freuden, Untergängen, Bereicherungen, Schrecken, Schlechtigkeiten, Brutalitäten – kurz: ERFAHRUNGEN spielen zu dürfen. Den Beruf, zu dem sie sich berufen fühlen, auszuleben, nicht von eitlen Regisseuren frühzeitig vernichtet zu werden und nicht von „Moden“ ausgesaugt zu werden.

Ich verwende bei meinen SchülerInnen den Begriff „SchülerIn“ nicht gerne, weil er nicht im Sinne Fausts gedacht wird. Und es ist so wichtig das Schulverhalten zu verändern. Das Gefühl des „Lernen-Müssens“ soll sich in ein Aufnehmen, Erforschen und Erleben verwandeln.

Ich fordere auf: Saugt mich aus! Nehmt alles, verlangt alles – wartet nicht ab! Seid ungeduldig, brennend, obwohl so viel Geduld zu ertragen ist.

Die Verwandlung des geschriebenen und gelesenen Wortes in den Gedanken, das Filtern des Schriftbildes durch das Herz zum Gehirn, zur gelebten Sprache – das ist der ewige, scheinbar unbezwingbare Gletscher, bei dessen Bezwingung man immer wieder in die eigene Tiefe fällt. Welche Qualen könnte man den „AnfängerInnen“ ersparen, wenn sie diese Hürde überspringen könnten. Wenn sie in diese Falle des Erlernen eines Textes nicht taumeln müssten. Und doch ist das geschriebene Wort so unendlich wichtig, denn durch das erste Lesen entsteht das Bild. Und das Bild formt den Gedanken, und den Gedanken unbeeinflusst auszusprechen, das ist die Schwierigkeit. Diesen Prozess zu begreifen – da hilft keine Thalia und kein Kuss der Duse.

Wie das alles erklären, warnen, schwarzmalen, um abzuschrecken vor diesem Weg – um ihm aber auch Hoffnung zuzurufen, weil es ein herrlicher Weg ist, der nur wenigen vergönnt ist, weiterzugehen, ihn nicht nach dem ersten Schwierigkeitsgrad aufzugeben. Man muss schon ein robustes Innenleben haben, um die Rückschläge und Unsicherheit zu ertragen, die nie aufhören werden den Schauspielernden zu begleiten.

 

Elfriede Ott sign1